Der unterbrochene Rechtsruck in der Corona-Krise?

Vier Thesen zur Dynamik autoritärer Bewegungen und Parteien während der Pandemie

Daniel Keil

Der Beitrag versucht eine Einschätzung des Agierens rechter Akteure in der Corona-Krise, ausgehend von den fallenden Zustimmungswerten für rechte Parteien in weiten Teilen Europas. Es werden vier Thesen entwickelt, die zur weiteren Diskussion einladen sollen: erstens, dass die programmatische Ambivalenz rechter Parteien in der Corona-Krise von einem Faktor des Erfolgs zu einem Faktor des Abschwungs wird, zweitens dass die europäische Ebene derzeit keine Synergie-Effekte bietet, drittens, dass die heterogene Rechte deshalb einen neuen ideologischen Vereinheitlicher sucht, und viertens dass die Entwicklung und Stärke rechter Parteien nach der Corona-Krise nicht determiniert ist, sondern von der weiteren Entwicklung der Kräfteverhältnisse abhängig ist.

Die Kommentare und Einschätzungen darüber, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Entwicklungen rechter Parteien in Europa haben werde, gehen mitunter weit auseinander. Manche gehen davon aus, dass die Corona-Krise eine Chance für rechte Parteien darstellt, die sie überhaupt nicht nutzen[1], demgegenüber betonen andere erfolgreiche (Teil)Agitationen. Hans-Georg Betz (2020) befürchtet beispielsweise, dass die Europäische Union Italien an die radikale Rechte verloren habe[2]. Die unterschiedlichen Einschätzungen verweisen auf die Fluidität der Krisensituation und darauf, dass sich die schon vor der Pandemie bestehende autoritären Dynamiken nochmals verschoben haben. Während beispielsweise rechte Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) Schwierigkeiten haben, was sich in gefallenen Umfragewerten ausdrückt[3], erreichen rassistische und antisemitische Aussagen hohe Verbreitung[4]. Dazu ist auch die Verbreitung von Verschwörungsideologien zu zählen, die derzeit öffentlich auf Demonstrationen gegen die Maßnahmen der Regierung bezüglich Corona verbreitet werden.

Schon zu Beginn der Corona-Maßnahmen stellte Matthias Quent (2020) fest, dass es rechte Gruppen gibt, die auf solche Krisen warten und sie in ihre apokalyptischen Untergangsfantasien einbauen, um selbst schließlich mit Waffengewalt agieren zu können[5]. Mit anderen Worten wird in der Corona-Krise die Heterogenität der autoritären Milieus sichtbarer als in den letzten Jahren. Dadurch zeigt sich auch, dass die zahlreichen Erklärungen des Erfolges rechter Parteien als Resultat der Globalisierung – seien es nun ökonomische oder kulturelle Aspekte – zumindest zu kurz griffen. So wurde häufig die internationale und speziell die europäische Formierung rechter Kräfte übersehen, die in das Modell der neuen Spaltung zwischen Globalisierung und Nationalstaat nicht so recht hineinpasste. Ein Teil der derzeitigen Zersplitterung und Re-Formierung der rechten Kräfte besteht nun gerade in der Entwicklung jener transnationalen rechten Allianzen. Die politische Krise der EU schlägt sich in den Mitgliedsstaaten auf differente Weise nieder, und diese Differenzen haben sich im Zuge der Pandemie nochmals verstärkt. Die entscheidende Frage ist daher, ob der elektorale Abschwung der Rechtsparteien in Europa nur ein temporäres Phänomen ist und ob der Blick auf Umfrageerbnisse nicht mehr verdeckt als erhellt. Die gesellschaftliche Instabilität und die Fragmentierung der EU, die in den Auseinandersetzungen um die Pakete zur Stützung der Wirtschaft wahrscheinlich zunehmen wird, nicht zuletzt weil die Kräfteverhältnisse innerhalb der EU eine gemeinschaftliche Bearbeitung der kommenden Wirtschaftskrise weniger wahrscheinlich machen, wird weiterhin viele Angriffspunkte für reaktionäre Politiken bieten Manche sehen in der kommenden Wirtschaftskrise sogar eine Chance für linkspopulistische Parteien (vgl. Downes 2020)[6], aber auch das übersieht das autoritäre Potential, das sich generell in der „Zivilgesellschaft“ zeigt (vgl. Resch 2020[7]). Ich gehe daher davon aus, dass die derzeitige Diffusion in den rechts-autoritären Milieus und Parteien mehreren Faktoren geschuldet ist, die vor allem auf die temporäre Schwierigkeit zurückgehen, dass sich eine Fraktion als Fundamentalopposition gerieren kann –im Falle Deutschlands ist das die AfD. Vielmehr treten die in den Jahren des anhaltenden Erfolgs verdeckten inneren Widersprüche nun offen zu tage, während gleichzeitig neue Akteure wie Widerstand2020[8] oder „demokratischer Widerstand“ die politische Landschaft betreten. Im Folgenden möchte ich daher vier kurze Thesen zur Einordnung des rechts-autoritären Potentials in, durch und nach Corona begründen. Erstens schlägt in der Corona-Krise die Stärke der programmatischen Ambivalenz rechter Parteien um in eine temporäre Schwäche. Zweitens verlieren in der neuen Spirale der EU-Krise Synergien und Boost-Effekte durch die europäische Ebene zunächst ihre Wirkung. Drittens muss man die Diffusion als Suche nach einem Unifier der heterogenen Rechten verstehen. Viertens, schließlich, folgt daraus, dass sich in der Post-Pandemie-Zeit durchaus ein transformiertes neu aufgestelltes rechtes Projekt entwickeln kann.

These 1: Die programmatische Ambivalenz war in der politischen Krise ein Faktor des Erfolgs, in der spezifischen Konstellation durch Corona schlägt dies um in ihr  Gegenteil

Es scheint eine ähnliche Situation zu sein wie 2014, als die sogenannten Mahnwachen für den Frieden eine öffentliche Bühne für Verschwörungsideologien jeglicher Form boten und einem diffusen politischen Spektrum vorher unbekannte Möglichkeiten eröffneten. Damals war die Ukraine-Krise auslösendes Moment, von Truthern über rechte Akteure bis zu national orientierten Linken auf der Straße zusammenzubringen. Neben den als bürgerlich inszenierten Demonstrationen gegen Aufnahmestellen für Geflüchtete („Nein zum Heim“), die von offen rechten Akteuren organisiert wurden, waren die Mahnwachen tatsächlich die erste bundesweite Artikulation von völkischen Ideologemen in der Bundesrepublik. Akteure wie Ken Jebsen, der damals eine Schlüsselrolle spielte, sind heute wieder in den Corona-Protesten aktiv. Erwiesen sich die Mahnwachen dabei als „Adoleszenzkrise des völkischen Protests“ (Uhlig 2015), so sind die derzeitigen ähnlich wirkenden Proteste vor dem Hintergrund einer schon etablierten rechten Partei zu verstehen. Damals konnte die AfD erfolgreich als Schirm agieren, unter dem sich verschiedene Teile der Mahnwachen und der anschließenden Pegida-Manifestationen wiedergefunden haben – als Beispiel sei der „Alternative Wissenskongress“[9] genannt, auf dem verschiedene Spektren organisiert durch die AfD regelmäßig zusammenfanden. Dass jetzt wieder ähnliche Proteste stattfinden, bei denen sowohl altbekannte Akteure wie Ken Jebsen als auch neue Grüppchen und Parteien bei den sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Berlin oder Widerstand2020 in Stuttgart auftreten, resultiert auch aus den Schwierigkeiten der AfD, die Rolle als nationale Fundamentalopposition einzunehmen. Dies liegt zum Teil an der großen Übereinstimmung der Bevölkerung mit den Maßnahmen der Regierung, zumindest bundesweit betrachtet. Zu einem anderen Teil liegt es sicherlich auch daran, dass viele der generellen Forderungen der AfD nun temporär umgesetzt werden, wie beispielsweise Grenzschließungen und dass in manchen Fragen, wie bspw. Eurobonds, die AfD auf Regierungslinie liegt, wie Alexander Gauland in der Aussprache über die Regierungserklärung von Angela Merkel am 23.4.2020 im Bundestag sagte: „Als eine der Freiheit der Bürger verpflichtete Partei lehnen wir die ersten Ansätze zur Bargeldabschaffung ebenso ab wie die sogenannten Euro-Bonds. Das ist der Punkt, wo wir sogar aufseiten der Bundeskanzlerin stehen.“ (Gauland 2020: 15)

Hier zeigt sich, dass das entstehende rechte Projekt, dessen Ziel der Ausnahmezustand ist, auf diese Ausnahmesituation, die nicht von ihm geschaffen wurde, nicht vorbereitet war und die erfolgreichen ideologischen Topoi nicht mehr ohne weiteres anwendbar sind. Hinzutritt ein schneller Umschlag in der vertretenen Position zu den Maßnahmen der Bundesregierung. Beklagte Alice Weidel am 5.3.2020 noch, dass die Bundesregierung doch zu zögerlich handele und schneller tiefgreifendere Maßnahmen ergriffen werden müssten (Weidel 2020a), was Jörg Meuthen am 25.03.2020[10] nochmal bekräftigte, so hat sich dies im April in das Gegenteil verkehrt. Nun beklagte Gauland, dass die Bundesregierung versuche, den „Staat als Vormund“ zu installieren (Gauland 2020: 19301) und erklärte den Lockdown für falsch.

Neben diesem Hin und Her spitzen sich die inneren Widersprüche in der AfD zu, nicht zuletzt aufgrund des Drucks von außen. Die Coronakrise beschleunigt auch innerhalb der AfD bestehende Konflikte[11], die aber nicht allein als Konflikte zwischen unterschiedlichen Fraktionen verstanden werden dürfen, die soundso gegeneinanderstehen würden, sondern als eine Krise der „programmatischen Ambivalenz“ (Ptak 2018) der AfD und ihres weiteren Netzwerks.

These 2: Synergien und Boost-Effekte durch die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene inklusive der Entwicklung einer Europa-Imagination können in den Corona bedingten Krisenerscheinungen der EU und der nationalstaatlichen Zentrierung nicht mehr entwickelt und genutzt werden.

Auch auf europäischer Ebene kann beobachtet werden, dass rechte Parteien eher mit nationalen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und es mit der jeweiligen Stärke der eigenen Regierung zu tun haben. Dies ist  beispielsweise in den Statements der Fraktion Identität und Demokratie sichtbar, wenn Marco Campomenosi, Vertreter der Lega, in der Debatte vor dem Ratstreffen am 23.4.2020 die besondere Schwere der Pandemie insbesondere in Norditalien hinweist und die EU dafür mitverantwortlich macht, während Nicholas Bay vom Rassemblement National den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Albanien, „avec une État mafieux et islamisé“, angreift, also auf Rassismus zurückgreift und damit auf die nationale Strategie des RN verweist, Migrant*innen als Hauptursache von Corona zu behaupten. Beide hingegen versuchen noch, das Narrativ vom „wahren Europa“ in Anschlag zu bringen, das zur Installation der Fraktion erfolgreich war. Dieses „wahre Europa“ würde die Krise bewältigen, während die sklerotische EU keine Handlungsfähigkeit habe. Zwar greifen beide auf jeweilige Strategien aus den eigenen Ländern zurück, was auch Jörg Meuthen von der AfD in seinem (schriftlichen) Beitrag zur Debatte macht. Er setzt jedoch nicht auf ein „wahres Europa“, sondern greift das zu diesem Zeitpunkt noch verhandelte Rettungspaket an. „Angesichts der Riesensummen muss man den Steuerzahlern klar sagen, was sie die Rettung von Italien, Spanien und Co. kosten wird. Und dass wir uns das überhaupt nicht leisten können.“ (Meuthen 23.4.2020). Dass einer von drei Rednern auf ein die europäische Rechte vereinigendes Narrativ verzichtet ist ein Indiz dafür, dass in der Coronakrise die Europäische Ebene für rechte Akteure noch schwieriger zu bespielen ist, als die nationale und dass zunächst auf letztere Ebene Rücksicht genommen wird. Hier werden die Grenzen der rechten Europa-Imagination deutlich, die auch sonst im Umgang mit der Krise kaum eine Rolle spielt. Dadurch gehen allerdings auf nationaler Ebene Synergie- und Boost-Effekte verloren, die eine europäische Zusammenarbeit haben kann und bis zur Europawahl auch hatten. Vor allem konnten unter der Erzählung vom „wahren Europa“ sich unterschiedlichste Fraktionen der Rechten wieder- und damit auch zusammenfinden. Die Coronakrise ist daher auch eine Krise der rechten Europa-Imagination und damit ein Teil der gegenwärtigen, vielleicht auch nur temporären, Zersplitterung der Rechten.

These 3: Die Suche nach einem wieder funktionierenden Vereinheitlicher der heterogenen Rechten findet längst statt. Es ist, auf Deutschland bezogen, die Frage, ob die AfD wieder der entscheidende Akteur dabei sein wird.

Die oben erwähnte programmatische Ambivalenz der AfD und rechter Bewegungen im Allgemeinen wurde in den letzten Jahren häufig als Dichotomie missverstanden, die aus einem ordo/neoliberalen und einem völkischen Teil bestehen würde, die jeweils insbesondere unterschiedliche ökonomische Positionen vertreten würden (vgl. Ptak 2018). Vielmehr gehört es zum Wesen protofaschistischer Bewegungen und Parteien, dass sie voller Widersprüche sind und aus einem Sammelsurium verschiedener Akteure bestehen. Es ist eben keine einheitliche Ideologie, sondern „verschwommen, im Sinne von fuzzy“ (Eco 2020: 14). Es handelt sich „um eine Collage aus verschiedenen politischen Ideen, ein Bienenkorb voller Widersprüche“ (ebd.). Das trifft auch auf die AfD und ihre Netzwerke zu. Von Anfang an fungierte die AfD als Sammelbecken und Repräsentationsinstanz für ganz verschiedene rechte Strömungen, die sich in vielem auch nicht einig sind. Die Rolle als Repräsentationsinstanz speiste sich aus der Inszenierung als Fundamentalopposition und als Vertreterin einer Unmittelbarkeit der nationalen Zugehörigkeit. Die derzeitigen Auseinandersetzungen in der AfD wie auch die Heterogenität der rechten Coronaproteste verdecken die inhaltlichen Übereinstimmungen, die trotz aller Unstimmigkeiten und Widersprüche vorhanden sind. Ein zentraler, unter der Oberfläche vieler Betrachtungen liegende Übereinstimmung liegt in dem grundlegenden Verständnis von Gesellschaft als Organismus. So kommt Hayeks Idee der „spontanen Ordnung“, die sich ergebe, wenn man die Marktkräfte walten lasse, der völkischen Vorstellung relativ nahe. Solche Organismusvorstellungen finden sich auch prominent bei den Corona-Protesten. „(…) mehr Basisdemokratie. Das wäre mein Wunsch, dass wir uns als Körper begreifen. Ich denke, die Menschen sind eigentlich in einem Organismus zu begreifen. Wir brauchen jedes Organ da drin und ein gesunder Organismus wird Viren und Bakterien selbst eliminieren (…)“, so einer der Gründer von Widerstand2020, Bodo Schiffmann[12]. So kann dann politischer Eingriff als Verstoß gegen die natürliche Ordnung verstanden werden, so dass im Umkehrschluss gegen politische Eingriffe vorgegangen werden muss. Die Freiheit, die auf diesen Demonstrationen gefordert wird, ist die Freiheit der Anpassung an die natürliche Ordnung.

Hieran schließt auch die AfD an und versucht, einen Fuß in die Proteste zu bekommen, indem sie sich als Partei der Freiheit inszeniert. Hierin sind sich die verschiedenen Teile einig: während die Bundestagsfraktion versucht, sich als einzig demokratische Kraft zu präsentieren und, wie bspw. Sebastian Münzenmaier, folgendes fordert: „Stellen Sie endlich die verfassungsgemäße Ordnung in diesem Land wieder her, und geben Sie den Menschen Ihre Freiheit zurück.“ (Münzenmaier 2020: 19314). Die Landtagsfraktion Thüringen spricht analog davon, dass die „Regierungen wollen, dass ihnen die Menschen mit verordnetem Maulkorb, sprich: „Mund-Nase-Schutz“, kritiklos folgen“ (AfD LtTh 2020: 5). Der Mundschutz als „Maulkorb“ ist ein durch die heterogene Rechte verbreitetes Motiv. Flankiert wird dies durch verschiedene prä-Corona-Topoi, die nun an die Situation angepasst werden. Aber auch sonst haben die im Streit liegenden Lager viele Gemeinsamkeiten: So wird sowohl von Meuthen[13] als auch von Höcke[14] die Stunde des Nationalstaats proklamiert, was in den Angriff auf die Bundesregierung, zu zögerlich gehandelt zu haben und die Forderung nach geschlossenen Grenzen eingebettet wird. Dies geht einher mit der schon erwähnten Ablehnung von Eurobonds, aber der gleichzeitigen Forderung nach Staatshilfen in Form von Ausfallgarantien für die deutsche Wirtschaft[15]. Gleichzeitig werden Staatshilfen von Alice Weidel in einem Beitrag für die Junge Freiheit abgelehnt und als „Plan- und Staatswirtschaft“ (Weidel 2020) bezeichnet. Linken und Grünen wirft sie vor, dass sie „ihnen mißliebige, zum Beispiel als »klimaschädlich« gebrandmarkte Unternehmen schon mal »gegen die Wand fahren« oder jedenfalls durch Ausschluss von Zugang zu Staatshilfen in Existenznot bringen wollen“ (ebd.). Sie fordert „Steuersenkungen“ und den „Verzicht auf überflüssige Staatsaufgaben“ (ebd.). Dieses ganze widersprüchliche Konglomerat aus Kritik und Befürwortung von Staatsinterventionen wird angesichts der tatsächlich drohenden Rezession gegenwärtig in dem Topos der wirtschaftsschädlichen Klimapolitik vereinigt. So wird gefordert, die Stromsteuer abzuschaffen und den „unsoziale[n] Kohleausstieg“[16] zu beenden. Die Pläne der EU für einen green new deal müssten gestoppt werden[17]. Und wie Alice Weidel sieht die AfD Landtagsfraktion Thüringen „Bestrebungen im linksgrünen politischen Spektrum, die die Coronakrise nutzen wollen, um unsere freiheitliche Bürgergesellschaft in ein multikulturelles ökosozialistisches Utopia umzubauen“ (2020: 26). Vor allem versucht sich die AfD damit – strömungsübergreifend – als Vertreterin der Autoindustrie, bzw. der fossilen Energie insgesamt darzustellen. Während die Kampagnen gegen die Klimaschutzbewegung und für die dieseldominierte Autoindustrie vor Corona schon Zugkraft im ideologischen Konglomerat jener Bewegung gewann, droht/scheint dieser nun zum neuen Unifier einer heterogenen rechten zu werden [18].

These 4: Der elektorale Abschwung von Rechtsparteien in vielen Teilen Europas während Corona und die tief reichenden Auseinandersetzungen in der AfD heißen nicht, dass die heterogene Rechte sich nicht neu aufstellen kann. Die entscheidende Frage ist, wie sich die Kräfteverhältnisse in der Krise entwickeln und ob demokratische Kräfte eigene Alternativen entwickeln und durchsetzen können.

Wie an den von den verschiedenen Strömungen der AfD weitestgehend geteilten Inhalten zu sehen ist, liegt der Dissens eher in strategischen Fragen des Auftretens in der Öffentlichkeit. Es ist dabei notwendig zu erfassen, dass die rechten Strömungen, trotz Metapolitik-Ansatz und Gramsci-Vereinnahmung[19], eben keine Hegemonie anstreben, keinen Konsens wollen, sondern in letzter Konsequenz die gewaltbestimmende Instanz sein wollen. Dies wird auch darin deutlich, dass sie sich als Partei jener Kapitalfraktion inszenieren, die auf fossilen Ressourcen und Energie Akkumulation betreiben. Sie bieten kein auf Dauer angelegtes Projekt, sondern eines, dass die kurzfristigen Kapitalinteressen ins Zentrum stellt. In Bezug auf den Umgang mit dem Klimawandel sind sich global Rechte darin einig, wie Bolsonaros Umgang mit dem Regenwald zeigt.

Zusammengehalten werden rechte Projekte daher nicht von Zukunftsentwürfen, sondern von Feindbestimmungen, von dichotomen Narrativen und deren erfolgreicher Reproduktion in der allgemeinen Öffentlichkeit. Die Verwandlung komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse in Freund-Feind-Schemata mit der gleichzeitigen Legitimierung der eigenen Position als einzig demokratischer gehört zu den semantischen Verwirrspielen, die auch weiterhin verfangen. Denn sie rekurrieren, wie kurz gezeigt, auf eine organische Vorstellung von Gesellschaft, die weiter verbreitet ist, als nur in Wahlergebnissen abgebildet wird. Dass solche Vorstellungen anschlussfähig an antisemitische Ressentiments sind, die sich nicht zuletzt in Form von Verschwörungsideologien artikulieren, ist in ihnen strukturell verankert. Antisemitismus ist wie Rassismus – der ebenfalls strukturell in Gesellschaft-als-Organismus-Vorstellungen angelegt ist, wirkmächtige Feindbestimmung, die auf strukturellen Mechanismen kapitalistischer Vergesellschaftung beruht. Emanzipatorisch-demokratische Kräfte müssen die Widersprüche rechter Parteien und Bewegungen in der Entwicklung der multiplen Krise neoliberaler Vergesellschaftung verorten und dürfen weder die rechten Akteure noch die gesellschaftlichen Verhältnisse dichotom vereindeutigen. Vielmehr gälte es aufzuzeigen, wie ein auf Dauer und Entwicklung angelegtes Projekt einen Ausweg aus der autoritären Spirale bieten könnte.

[1] https://www.politico.eu/article/europe-far-right-coronavirus-pandemic-struggles/
[2] https://www.radicalrightanalysis.com/2020/04/24/how-the-european-union-lost-italy-to-the-radical-right/
[3] https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politbarometer/Langzeitentwicklung_-_Themen_im_Ueberblick/Politik_I/1_Projektion_1.xlsx
[4] https://www.newstatesman.com/science-tech/social-media/2020/04/covid-19-coronavirus-anti-chinese-antisemitic-hate-speech-5g-conspiracy-theory
[5] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-03/afd-rechtsradikale-coronavirus-verfassungsschutz-gefahr
[6] https://rantt.com/is-covid-19-sparking-a-temporary-fall-of-the-radical-right-in-europe
[7] http://wp.links-netz.de/?p=440
[8] Mittlerweile hat sich Widerstand2020 schon wieder aufgelöst. Die Partei soll aber nochmals neu gegründet werden.
[9] https://www.alternativer-wissens-kongress.de
[10] https://afdkompakt.de/2020/03/25/die-corona-krise-ist-die-stunde-der-nationalstaaten/
[11] Zu den internen Konflikten der AfD siehe beispielsweise: https://www.tagesschau.de/inland/afd-647.html
[12] Das Interview ab ca. 2:24 hier: https://www.youtube.com/watch?v=c51A8cGWGyE (rev. 02.06.2020
[13] https://afdkompakt.de/2020/03/25/die-corona-krise-ist-die-stunde-der-nationalstaaten/
[14] https://www.tagesstimme.com/2020/04/04/bjoern-hoecke-afd-nationalstaat-steht-vor-einer-grosse-renaissance/
[15] ttps://www.afd.de/joerg-meuthen-keine-corona-bonds/
[16] https://www.afdbundestag.de/kotre-immunsystem-der-wirtschaft-staerken/[17] https://afdkompakt.de/2020/03/22/stoppt-den-green-deal-infolge-corona-gibt-es-dringenderes-fuer-die-eu-zu-tun/
[18] siehe zum Beispiel die von der AfD produzierte „Dokumentation“ „Dieselmord im Ökowahn“: https://www.youtube.com/watch?v=_Ujz8DWbuK8
[19] Die „Neue Rechte“ hat eine Strategie begründet, die sie selbst Metapolitik nennt. In Anlehnung an Antonio Gramsci soll im vorpolitischen Raum „kulturelle Hegemonie“ erlangt werden, um darauf aufbauend politische Macht zu erlangen. Damit wird das materialistischen Konzept Gramscis jedes kritischen Arguments gegen die politische Ökonomie entkleidet. Solche Entwendungen sind Teil einer Strategie der Selbststilisierung, der man nicht auf den Leim gehen darf.

Literatur

Betz, Hans-Georg 2020: How the European Union Lost Italy to the Radical Right, in: https://www.radicalrightanalysis.com/2020/04/24/how-the-european-union-lost-italy-to-the-radical-right/, rev. 16.06.2020
Downes, James 2020: Is COVID-19 Sparking A Temporary Fall Of The Radical Right in Europe?, in: https://rantt.com/is-covid-19-sparking-a-temporary-fall-of-the-radical-right-in-europe, rev.16.06.2020
Eco, Umberto 2020: Der ewige Faschismus, 3. Auflage, München
Ptak, Ralf 2018: Ménage-à-trois: Neoliberalismus, Krise(n) und Rechtspopulismus, in: Häusler, Alexander/Kellershohn, Helmut (Hrsg.): Das Gesicht des völkischen Populismus. Neue Herausforderungen für eine kritische Rechtsextremismusforschung, Münster, 20-37
Resch, Christine 2020: Was heißt „Zivilgesellschaft“ in liberalen Demokratien heute? In: http://wp.links-netz.de/?p=440, rev.16.06.2020
Protokoll Europarlament 23.04.2020: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/CRE-9-2020-04-16_DE.html#creitem15
Uhlig, Tom 2015: Wahnmachen. Eine Adoleszenzkrise des völkischen Protests, in: Freie Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie, Nr. 18(2), 33-50

Quellen rechter Akteure

AfD Landtagsfraktion Thüringen 2020: Corona-Exit. Positionspapier der Thüringer AfD-Fraktion, in: https://afd-thl.de/download/positionspapier-corona/
Campomenosi, Marco 2020: Rede im Europarlament am 23.4.2020, in: https://www.youtube.com/watch?v=yq0tmCMt3z8&feature=youtu.be, rev. 29.04.2020
Bay, Nicholas 2020: Rede im Europarlament 26.03.2020: https://www.youtube.com/watch?v=zHxKk_wApKw&feature=youtu.be
Gauland, Alexander 2020: Rede im deutschen Bundestag, 23.4.2020, in: Plenarprotokoll 19/156, 19300-19302
Münzenmaier, Sebastian 2020: Rede im deutschen Bundestag, 23.4.2020, in: Plenarprotokoll 19/156: 19313-19314
Weidel, Alice 2020a: Rede im deutschen Bundestag, 04.03.2020, in: Plenarprotokoll 19/148, 18440-18441
Weidel, Alice 2020b: Zerschlagene Illusionen – Corona und die deutsche Wirtschaft, in: Junge Freiheit, 16.04.2020, https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2020/zerschlagene-illusionen-corona-und-die-deutsche-wirtschaft/