Über Möglichkeiten und Herausforderungen sozial-ökologischer Transformation in der Corona-Krise

Alina Brad, Ulrich Brand und Mathias Krams

Sowohl die Corona-Krise als auch die Klima-Krise haben viel mit der kapitalistisch organisierten Aneignung der Natur zu tun. Die globalisierte, auf Wachstum und enormen Natureingriff basierende Produktions- und Lebensweise wird zwar punktuell auch im herrschenden Diskurs thematisiert. Doch die Grundmuster dieser Art zu wirtschaften werden kaum in Frage gestellt. Dennoch werden immer wieder Ansatzpunkte für emanzipatorische sozial-ökologische Transformationen sichtbar und sollten durch politische Initiativen und kritische Wissenschaft sichtbar gemacht werden.

Auslöser für die aktuelle Corona-Krise war die „Überschreitung von Artengrenzen“ durch das Virus SARS-CoV-2. Die Art und Weise, wie Gesellschaften mit der Natur in Austausch treten, hat dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit solcher Übertragungen. Die stetige Ausweitung von Naturaneignung – wie sie typisch für wachstumsorientierte kapitalistische Gesellschaften ist –, und die damit einhergehende Zerstörung von Lebensräumen sowie die industrialisierten Formen der Nutztierhaltung machen es sehr wahrscheinlich, dass auch in Zukunft Krankheiten von Tieren auf Menschen übertragen werden.[i]

Doch nicht nur die Übertragung von Krankheitserregern, auch die Formen der Befriedigung unserer Grundbedürfnisse stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der jeweils historisch-konkreten Ausgestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse: Die dominante Form der Organisation, wie wir uns mithilfe einer industriellen Landwirtschaft ernähren, wie wir uns im Rahmen auto- und flugzentrierter Mobilitätssysteme fortbewegen, wie wir wohnen, heizen und wie andere Bereiche der (Re-)Produktion unter Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise eingerichtet sind.

Damit gerät der Zusammenhang ökologischer Krisen mit politisch-ökonomischen und soziokulturellen Dynamiken sowie mit anderen Krisenphänomenen in den Blick.[ii] Das betrifft auch die Rolle von Interessen und deren Zusammenwirken, von innergesellschaftlichen und internationalen Ungleichheiten sowie von Macht und Herrschaft in der ökologischen Krise.

Der Zusammenhang von Corona-Krise und globalisierter, auf Wachstum und enormen Natureingriff basierender Produktionsweise wurde zwar selbst im herrschenden Krisendiskurs punktuell thematisiert. Doch die Grundmuster dieser Art zu wirtschaften wurden aufgrund der vorherrschenden Kräfteverhältnisse nie ernsthaft in Frage gestellt. Gleiches gilt für gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen und den darüber vermittelten Zugang zu Ressourcen. Auch der ungleiche Zugang zum Gesundheitssystem, wie er besonders offensichtlich in den USA zu Tage tritt, oder die sich abzeichnenden Verteilungskämpfe bezüglich der Impfstoffe sind ein Ausdruck derselben Produktionsweise.

Krisenzeiten wie die Corona-Krise führen zu einer gewissen Politisierung bis dato wenig verhandelter Probleme, wie aktuell die vermeintliche Selbstverständlichkeit des Fliegens, der Produktion von Billigfleisch oder der Handel mit Wildtieren. Doch das verbleibt innerhalb der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse und stellt die „imperiale Lebensweise“, also einen politisch und wirtschaftlich vorangetriebenen, im Arbeits- und Konsumalltag der Menschen verankerten Zugriff auf Güter und Dienstleistungen, die andernorts zu schlechten sozialen und ökologischen Bedingungen produziert werden, nicht infrage.[iii] Im Gegenteil, die rasche Wiederherstellung der internationalen Lieferketten und die Rede vom Kaufen als „patriotische Aufgabe“ (so Wirtschaftsminister Peter Altmaier Ende November) deuten auf ein von vielen dominanten wirtschaftlichen und politischen Akteur*innen gewünschtes „Zurück zur Normalität“ der kapitalistischen Globalisierung hin. Letztlich dürfte sich so die imperiale Lebensweise nach der Pandemie noch weiter vertiefen.

Staatliche Politik operiert damit weitgehend in Korridoren, die maßgeblich von den bestehenden Produktions- und Kräfteverhältnisse strukturiert sind. Das zeigt sich etwa an den Milliarden-Unterstützungen für die Lufthansa oder den Tourismuskonzern TUI, während ein Großteil des Pflegepersonals kaum mehr als symbolische Anerkennung erhält. Das bedeutet nicht, dass im Einzelfall eine staatliche Nachhaltigkeitspolitik nicht möglich wäre. Doch eine sozial-ökologische Transformation wird in vielen Fällen entscheidend durch grundlegende Konflikte in Wirtschaft und Gesellschaft geprägt.[iv] Das sehen wir am zähen Ringen um eine andere Energiepolitik, zu der auch der Ausstieg aus der Verstromung von Braunkohle gehört, oder eine Mobilitätspolitik jenseits der Zentrierung auf das Automobil (sei es durch einen Verbrennungs- oder einen Elektromotor angetrieben).

Die Politische Ökologie der Corona-Krise

Neben der gesundheitlichen Gefährdung durch SARS-CoV-2 – insbesondere in Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen – erleben viele Menschen die Corona-Krise zunächst als eine Situation von wirtschaftlicher Unsicherheit und Arbeitsplatzverlust. Eine wachsende Zahl an Frauen und Kindern waren und sind häuslicher Gewalt ausgesetzt. Welche längerfristige Tragweite die Krise haben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt (Mitte Dezember 2020) immer noch kaum absehbar.[v]

Aus einem umweltpolitischen Blickwinkel betrachtet erlebten wir in den ersten zehn Monaten der Corona-Krise eine ambivalente Entwicklung. Zwar sanken die globalen CO2-Emissionen in den vergangenen Monaten vorübergehend drastisch[vi], der CO2-Gehalt in der Atmosphäre wuchs jedoch weiter ungebremst an.[vii] Das Wirtschaftswachstum brach ein und in den ökonomisch starken Ländern wurde der Staat in einer Weise aktiv, wie es zuvor kaum denkbar war. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die materielle Grundversorgung mit Gesundheits- und Pflegeleistungen, Nahrungsmitteln und öffentlicher Infrastruktur wichtiger ist als die ressourcenintensive Produktion von Autos, Luxusgegenständen oder das Fliegen als Dienstleistung. Die „Alltagsökonomie“ und die Beschäftigten darin wurden in ihrer Bedeutung sichtbar, bislang jedoch kaum strukturell aufgewertet. Es werden neue Praktiken erprobt (Video-Konferenzen statt Fliegen, Pop-Up Radwege und Begegnungszonen) und der Staat hat durch die umfassenden wirtschaftspolitischen Stabilisierungsmaßnahmen zumindest potenziell in zentralen Bereichen neue Gestaltungsspielräume, auch hinsichtlich transformativer Politiken, gewonnen.

Die kapitalistischen Naturverhältnisse werden an einem wichtigen Punkt hinterfragbar: Die Corona-Pandemie hat offenbart, dass ressourcenintensive und nach Profitlogiken ausgerichtete transnationale Produktions- und Lieferketten teils fragil sind und die Sicherstellung der Grundversorgung nicht mehr selbstverständlich ist. Dies löste eine Debatte um die Re-Regionalisierung existenziell wichtiger Teile der Produktion aus, die in den vergangenen Jahren aufgrund der Profitorientierung von Unternehmen ausgelagert wurden. Der Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe ist aus ökologischer Perspektive zu begrüßen. Hierbei sollte jedoch die Lebenssituation der Beschäftigten in den Produktionsländern nicht vergessen werden, denn zum einen leben viele Menschen von der globalisierten Produktion, gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen oft katastrophal und müssen verbessert werden. Auch die europäische Handelspolitik – Stichwort Agrarexporte – müsste so verändert werden, dass eine Re-Regionalisierung in Europa zugleich eine eigenständige Entwicklung im globalen Süden ermöglicht. Denn bislang sind die Wirtschaften der meisten Länder einseitig an der Produktion für den Weltmarkt ausgerichtet.

Aus einer politisch-ökologischen Perspektive, d.h. unter Berücksichtigung verankerter sozioökonomischer und politischer Strukturen und entsprechender Interessen, gibt es erstmal nicht viel Anlass zur Hoffnung auf ein Umschwenken hin zu einer sozial-ökologischen Transformation in Folge der Corona-Krise. Der von der EU verabschiedete European Green Deal, der als zentrales Konjunkturprogramm zur Krisenbewältigung angesehen wird, orientiert sich an einer selektiven Modernisierung – in vielen Fällen Elektrifizierung – der europäischen Produktions- und Lebensweise. Durch die Fokussierung auf das BIP-Wachstum werden bisherige Formen der expansiven Naturaneignung nicht hinterfragt und lediglich einige Ressourcenquellen verlagert. Auf nationaler Ebene, etwa auch in Österreich und Deutschland, zeichnet sich eine ganz ähnliche Dynamik ab. Zugleich gibt es Stimmen insbesondere der Wirtschaftsverbände, die Umweltstandards zu senken, damit die (fossile) Wirtschaft wieder „angekurbelt“ wird. Soziale Ungleichheit nimmt weiterhin aber sehr stark zu[viii], Debatten um Vermögenssteuern oder Lastenausgleich werden von den Regierungen abgeblockt oder im Falle der Wachstumsorientierung der Wirtschaft erst gar nicht geführt.

Notwendige Initiativen für eine sozial-ökologische Transformation

Die Perspektive der Politischen Ökologie legt nahe, die Corona-Pandemie und andere drängende Krisen unserer Zeit wie die Klima-Krise gemeinsam zu bearbeiten, indem eine umfassende Neugestaltung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse angestrebt wird: Dabei geht es um die Erfüllung von Grundbedürfnissen jenseits der Ausbeutung von Mensch und Natur. Elemente einer solchen Transformation wären etwa (1) ein barrierefreier Zugang zu Bereichen der Grundversorgung wie Gesundheit, Wohnen, Mobilität und Grundnahrungsmitteln, die in vergesellschafteter Form jenseits der Profitlogik des Marktes und unter aufgewerteten Arbeitsverhältnissen organisiert werden; (2) die Verknüpfung von Staatshilfen etwa für die Automobil- und Luftverkehrsindustrie an eine umfassende Demokratisierung und Umstellung der Produktion bzw. Anpassung der Dienstleistungen nach ökologischen Maßstäben; (3) die Infragestellung des Wachstumsparadigmas, da sich wirtschaftliches Wachstum nicht absolut vom Ressourcenverbrauch und damit auch nicht von der Ausweitung von Naturaneignung trennen lässt.[ix]

Doch eine solche weitgehend sozial-ökologische Transformation steht angesichts der Corona-Krise und den damit verbundenen nun anstehenden Verteilungskonflikten unter den gegebenen Machtverhältnissen vor größeren Herausforderungen als je zuvor.[x] Zwar wird auf EU-Ebene weiterhin an Dekarbonisierungsstrategien wie dem European Green Deal festgehalten. Auch werden staatliche Hilfen, zumindest vereinzelt, an umweltpolitische Auflagen geknüpft. Doch in Folge der aktuellen krisenbedingten Einnahmeausfälle werden vor allem auf kommunaler Ebene die Spielräume für Investitionen in Projekte für eine sozial-ökologische Transformation in den kommenden Jahren eingeschränkt sein. Wichtig wird sein, dass der aktuelle „Not-Keynesianismus“ nicht – wie in der Krise 2008ff. – in eine neue Runde der Austeritätspolitik übergeht. Insofern sind Debatten um einen linken Green New Deal, entsprechende Strategien und Bündnisse von großer Bedeutung.[xi]

Diese setzen auch an aktuellen Konflikten und Erfahrungen an, etwa beim Coronakrisen-bedingten Ausbau städtischer Radwegesysteme, der Verweigerung der SPD-Führung, dass mit einer „Abwrackprämie“ Autos mit Verbrennungsmotor gekauft werden können, oder bei Vorschlägen, die aktuelle Kurzarbeit mittelfristig mit dem Projekt einer „kurzen Teilzeit“ von 30 Stunden wöchentlicher Normalarbeitszeit zu verbinden. Und sicherlich bedarf es auch der unter den gegebenen Kräfteverhältnissen unrealisierbare scheinenden Vorschläge wie eine hohe Vermögensabgabe oder die Integration von Luftverkehrsgesellschaften[xii] in die Bahnunternehmen.

Alina Brad, Ulrich Brand und Mathias Krams arbeiten alle im Bereich Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.


[i] Bundesministerium für Gesundheit (2018): Zoonotische Infektionskrankheiten und Erreger mit speziellen Resistenzen. BMG. Berlin. https://www.forschung-bundesgesundheitsministerium.de/foerderung/bekanntmachungen/zoonosen (aufgerufen am 13.12.2020). „Regulierter Tierhandel senkt Pandemierisiko“, https://www.tagesschau.de/ausland/wildtierhandel-pandemie-101.html (aufgerufen am 18.12.2020).

[ii] Mathias Krams (2018): Die Klima- und Vielfachkrise der letzten Dekade: Dynamiken, Wechselwirkungen und Interventionsfelder. Kurswechsel 4: 67 – 77.

[iii] Ulrich Brand, Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom; kritische Auseinandersetzungen etwa von Klaus Dörre (2018): Imperiale Lebensweise: Eine hoffentlich konstruktive Kritik. Teil 1: These und Gegenthese. Sozialismus 6, 10–13; Klaus Dörre (2018), Imperiale Lebensweise: Eine hoffentlich konstruktive Kritik. Teil 2: Uneingelöste Ansprüche und theoretische Schwierigkeiten. Sozialismus 7–8, 65–71. Stefanie Hürtgen (2020): Arbeit, Klasse und eigensinniges Alltagshandeln. Kritisches zur imperialen Lebensweise – Teil 1. PROKLA 50(1), 171-188

[iv] Alina Brad (2016): Politische Ökologie und Politics of Scale – Vermittlungszusammenhänge zwischen Raum, Natur und Gesellschaft. Geographica Helvetica 71: 353 – 363.

[v] Vgl. zu möglichen Entwicklungen Ulrich Brand (2020): Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie. Klimastreiks und Alternativen zur imperialen Lebensweise. Mit einem Beitrag zur Corona-Krise. Hamburg: VSA, Kapitel 1 und 2.

[vi] Corinna Le Quéré C., Robert B. Jackson et al. (2020): Temporary reduction in daily global CO2 emissions during the COVID-19 forced confinement. Nature Climate Change 10, 647-653.

[vii] Deutsches Klimakonsortium (2020): Trotz Corona ist CO2-Gehalt der Atmosphäre weiterhin auf Rekordkurs. DKK. Berlin. https://www.deutsches-klima-konsortium.de/de/co2konzentration.html (aufgerufen am 13.12.2020).

[viii] Antonio Guterres (2020): “The pandemic is exposing and exploiting inequalities of all kinds, including gender inequality”. United Nations. New York. https://www.un.org/en/un-coronavirus-communications-team/pandemic-exposing-and-exploiting-inequalities-all-kinds-including (aufgerufen am 13.12.2020).

[ix] Zu Letzterem Helmut Haberl et al. (2020): A systematic review of the evidence on decoupling of GDP, resource use and GHG emissions, part II: synthesizing the insights. Environmental Research Letters, 15(6), 06500

[x] Etienne Schneider, Felix Syrovatka (2020): Corona und die nächste Euro-Krise. Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 199: 335 – 344.

[xi] Vgl. Brand 2020, a.a.o.; Bernd Riexinger (2020): System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal – Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können. Hamburg: VSA. Ein Kompendium umfassender Vorschläge erschiene gerade vom Konzeptwerk Neue Ökonomie (Hrsg., 2020): Zukunft für alle. Eine Vision für 2048. gerecht. ökologisch. machbar. München: oekom.

[xii] https://www.derstandard.at/story/2000122599261/warum-nicht-oebb-und-aua-fusionieren (abgerufen am 13.12.2020)